Karte der Mumin-Welt
Fiktive literarische Welten mit Karten zu versehen ist ein Kunstgriff, der sich von Stephensons »Schatzinsel« bis zu Tolkiens »Mittelerde«-Kosmos zieht und bis heute besonders im Fantasy-Genre geradezu zum guten Ton zählt. Auch Kinder- und Jugendbuchklassiker wie »Pu der Bär« oder »Watership Down / Drunten am Fluss« haben von dieser Technik profitiert.
Tove Jansson pflegte schon früh eine persönliche Vorliebe zu kartografischen Darstellungen; 1938 beispielsweise zeichnete sie eine Karte ihrer Wege durch Paris. Auch zur Muminwelt erstellte sie verschiedene Karten, so dass zwei Drittel der Mumin-Bücher derartige Zeichnungen besitzen.
Auf dieser Seite wird versucht, die Handlungsverläufe aller Mumin-Bücher in einer gemeinsamen Karte unterzubringen. Eine solche Übersichtsdarstellung existiert nicht von Tove Janssons eigener Hand. Es zeigt sich, dass die ständige Weiterentwicklung der Muminwelt von Buch zu Buch nicht immer Rücksicht auf Konsistenz zu bereits Geschriebenem nimmt. Daher kann das hier Erarbeitete seinen hypothetischen und kompromissbehafteten Charakter nicht verleugnen.
Bestandsaufnahme: Illustrationen von kartografischem Charakter
- Das Mumintal, vordere Karte in DG, inkl. einer Grundrisszeichnung des Muminhauses
- Zeichnung einer Insel in MJ als Kapitelvignette
- Karte der Tannenbucht, vordere Karte in SM
- Das winterlich eingeschneite Mumintal, vordere Karte in WM
- Luftbildzeichnung der Leuchtturminsel, vorne in MI
- Doppelkarte (Mumintal unterm Herbstmond / weitere Umgebung bis zum Beginn der Wildnis), vorne in HM
- Luftbild des Mumintals auf den letzten Seiten von KF, vom Ballon aus betrachtet
- Das Spielbrett des Mumin-Spiels von Tove und Lars
- (Die von Tove Janssons Mutter gezeichnete Klovharun-Karte als Umschlagsbild für E96)
Vorgehen
Die vorgenannten Karten waren mit den textlichen Angaben aus den Büchern (Landschaftsbeschreibungen, Schilderungen der Wegeverläufe, Indizien wie z. B. Sonnenstand zu bestimmten Zeitpunkten) in Übereinstimmung zu bringen, um daraus eine schlüssige Gestalt der zugrunde liegenden Welt zu gewinnen.
Schwierigkeit dabei: Der Mumin-Kosmos hat sich während seiner Entstehung/Fortschreibung noch bedeutend verändert. Vor allem war er in seiner Frühzeit deutlich südlicher angesiedelt als später, als Tove Jansson ihre literarische Welt am realen Norden orientierte.
Aspekte im einzelnen
Nach der Reihenfolge der Bücher, wie sie in der Zeitleiste der Mumin-Bücher dargestellt ist, sind u. a. folgende Einzelheiten zu berücksichtigen:
- MJ: Die Erinnerungen des Muminvaters verschaffen viele Erkenntnisse über die großräumige Gestalt der Muminwelt (subkontinentale Ebene). Demnach stammt der Muminvater von jenseits des Meeres, wo es zahlreiche weitere Mumintrolle gibt. Er verlässt sein altes Leben auf einem Waldfluss, der in einen Schärengürtel übergeht, bis schließlich das offene Meer erreicht ist. Vom Inselreich des Alleinherrschers bricht er erst nach diesem Buch auf. Es liegt nahe, die sich hieraus ergebende Konstellation als an die reale Ostsee mit Schweden–Åland–Finnland angelehnt zu sehen.
- LR: Dieses am frühesten entstandene Buch ist vom »vollendeten« Mumin-Kosmos zeitlich und inhaltlich am meisten entfernt und wirft daher große Einpassungsprobleme auf. Tove Jansson ließ bei ihrer großen Revision der Mumin-Bücher 1968/69 dieses Buch aus.
Man kann nur vermuten, dass es sich bei dem Gewässer, das in der stürmischen Schiffspassage überquert wird, um annähernd dieselbe Meeresfläche handelt, über die später die Wandergruppe in [KM] mit Stelzen läuft. Unklar bleibt auch, wo sich das Muminhaus befand, bevor es fortgeschwemmt wurde – Mumin und seine Mutter kannten es noch nicht, denn der Vater hatte es erst gebaut, nachdem er von den beiden fortgegangen war; vielleicht war er auf Erkundung nach einem besseren Wohnort gegangen, als die Überschwemmung kam?
Ansonsten beschreibt das Buch die Landesnatur eines Gebietes, das einigermaßen entfernt vom endgültigen Mumintal liegt, mit dichten Urwäldern ebenso wie kalten Bergländern, teils von Höhlensystemen durchzogen (Süßigkeitenreich des Alten Herrn). Die geschilderte, allgemein nach Süden verlaufende Wanderung muss angesichts der späteren Bücher, die sich mehr und mehr an der nordischen Welt orientieren, wohl umgekehrt als nordwärts gerichtet gelesen werden.
Das Mumintal ist ab der Anlandungsstelle in 4 Tagen zu Fuß zu erreichen.
- KM: Das ebenfalls noch frühe, aber später umgearbeitete Buch schildert einigermaßen ausführlich das Mumintal: von einem Fluss durchflossen (darüber die Brücke), zum Meer hin begrenzt durch eine bewaldete Anhöhe, dahinter dann der teils sandige, teils von steilen Felsen gebildete Strand. Die Höhle befindet sich in gewisser Höhe über dem Meeresspiegel.
Der Mumintal-Fluss erreicht das Meer nicht – er kehrt um und entschwindet landeinwärts in Richtung der Einsamen Berge, durch immer steinigere Landschaften, die von Rissen und Schluchten durchzogen sind; schließlich verläuft er gar unterirdisch und ergießt sich in einen Abgrund im Inneren des Gebirges.
Die Einsamen Berge sind in ihren unteren Lagen teilweise bewaldet, es gibt auch Bäche. Die Gefährten schlagen nach dem Aufbruch vom Observatorium eine völlig falsche Richtung ein (der Kompass hatte verrückt gespielt – wohl die Schuld des Kometen) und kommen nach fremden Wald- und Dünenlandschaften jenseits einer ausgetrockneten Meeresbucht heraus, die sich aufgrund ihrer Größe nicht in zwei Tagen umrunden lässt, sondern auf Stelzen durchquert werden muss. Am anderen Ufer der Bucht ist man dem Mumintal so nahe, dass Flüchtlinge von dort bereits hier angekommen sind, trotzdem noch so weit entfernt, dass ohne den helfenden Wirbelsturm noch etwa zwei Tagesmärsche erforderlich gewesen wären.
- DG: Das Bild des Mumintals präzisiert sich. Im Osten liegt Wald, im Norden kleinere bergige Anhöhen. Der Fluss verlässt das Mumintal in Schleifen. Auf dem Waldweg zum Strand gibt es eine Abkürzung zur Höhle.
Die Insel der Hatifnatten liegt »weit draußen«, ein relativer Begriff. Ihre Größe ist schwer abzuschätzen, aber deutlich größer als Rufweite. Sie hat einen für Boote anlegefähigen Sandstrand, eine felsige Seite, eine steinige Landzunge, stattliche Einzelfelsen und einen Wald mit einer Lichtung, die eine große Zahl von Hatifnatten fassen kann (nach [GM] kann eine Hatifnatten-Zusammenkunft tausende von Individuen vereinen). Bei Abfahrt liegt die Insel im Sonnenuntergang, also genau im Westen.
- SM: Über das Mumintal erfahren wir diesmal, dass sich unter einem Hang ein Tümpel befindet. Ansonsten behandelt das Buch andere Gegenden.
Der feuerspeiende Berg wird als »in der Nähe« bezeichnet, immerhin werden Rußflocken bis ins Mumintal geweht. Andererseits ist die Entfernung als zu groß bekannt, um eben mal hinzugehen (daher kann der Muminvater von einem Lava-Briefbeschwerer weiterhin nur träumen). Außerdem liegt der Berg auf einer kleinen, schwarzen und unbewachsenen Insel.
Die Flutwelle schießt ins Mumintal, also kann die Barriere zum Meer nicht überall sehr hoch sein, aber doch hoch genug, dass das Wasser nur langsam wieder abfließt, weil es sich andere Wege suchen muss. (Wohl niedrige) »Bergketten« ums Mumintal herum sind nun Inseln.
Das Theater kommt »vom Meer her« und »vom Talausgang her« angetrieben; da beides nur ungefähre Angaben sind, überwindet es möglicherweise dank des hohen Wasserspiegels die Barriere aus einem benachbarten Tal. Mit der Muminfamilie treibt es jedenfalls durch den Pass, der in die Einsamen Berge führt und von dem bislang nicht die Rede war, der aber eigentlich nicht mit dem Flussausgang identisch sein kann.
Nach ein paar Tagen treibt das Theater in einen Wald, der zum Teil trocken liegt, und setzt sich schließlich in der Tannenbucht fest. Da es hier einen Bootsverleih gibt, handelt es sich wohl auch in unüberfluteten Zeiten um ein Gewässer – hier ist sicherlich ein Wasserablauf der Flut ins Meer.
Der Rückweg von der Tannenbucht im Boot durch überschwemmtes Land bis zu den Grenzen des Mumintals dauert drei Tage.
- WM: Eine wichtige und ausdrückliche Beschreibung in diesem Buch wirft große Probleme auf, da sie allen von Tove Jansson gezeichneten Karten widerspricht: Als Mumin sich nach seinem Erwachen zum ersten Mal draußen umsieht, überquert er schließlich die Brücke und wandert dann Richtung Süden; an der Grenze zu einem Nachbartal trifft er Tooticki, geht mit ihr zurück, aber nicht über die Brücke und zum Haus, sondern direkt zum Strand mit Badehaus. Daher kann das Haus eigentlich nicht wie in allen Karten dargestellt südlich des Flusses liegen, sondern muss sich nördlich davon befinden.
Folglich müssen eher sämtliche (!) von Tove Jansson gezeichnete Karten irren als der Text, weil die dargestellten Wanderungen hochsymbolisch beladen und daher nicht leichter Hand umzudeuten sind. Über den Fluss (auch eine innere Grenze, betont durch die Spuren im Schnee auf der Brücke) nach Süden, dem Schnupferich hinterher; dann nach Begegnung mit Tooticki die Umkehr nach Norden, aber keine Flussüberquerung per Brücke zum Haus (was eine Rückkehr ins Alte wäre), sondern gleich ans Meer.
Vom zugefrorenen Meer vor dem Badehaus lässt sich die erstmals wieder über den Horizont steigende Sonne beobachten; also muss der Muminstrand ein relatives westliches Maximum der Küstenlinie darstellen, denn sonst könnte man nicht direkt nach Süden blicken.
- GM: Die Episoden dieses Buches spielen an verschiedenen Plätzen, deren genaue Verortung nicht immer möglich oder auch nur wichtig ist. Kapitel 2 verrät, dass die Mymla-Großmutter in relativer Nähe des Mumintals wohnt. Die Wanderung des Muminvaters in Kapitel 7 stellt den Küstenverlauf näher dar.
- MI: Das Mumintal wird verlassen und der neue Aufenthaltsort der Familie, die Insel, eingehend beschrieben.
- HM: Nochmals verdeutlicht sich die Gliederung der Mumintalumgebung in parallele Täler. Die beigegebene Karte von Tove Jansson widerspricht der Erzählung: der Schnupferich auf dem Weg nach Süden kann schlechterdings nicht an nördlich davon eingezeichneten Orten vorbei kommen – die Nord-Süd-Ausrichtung muss also umgekehrt interpretiert werden. Besonders den Beobachtungen von Homsa Toft verdanken wir zahlreiche Details der Tal-Gestaltung.
- Weder Bilderbücher noch Comics liefern für die Muminwelt-Kartografie verwertbare Angaben.
Seite zuletzt geändert: 31. 07. 2024 / 16:58
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