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Muministischer Rundbrief Dezember 2003

Date: Sat, 13 Dec 2003 20:58:13 +0100

Ein letztes Mal in diesem Jahr ein herzliches HEJ an die MuminfreundInnen allüberall!

Unsere Zahl geht stramm auf die 80 zu. Wenn es so weitergeht, können wir bald die deutsche Mumincomic-Gesamtausgabe fordern! Wie immer: wer den Rundbrief nicht mehr will, möge ihn einfach bei mir abbestellen; hingegen sind Denunziationen von potenziell Interessierten genauso möglich ;-)

Nun geht's los.

Erschienen: »Mumin, wie wird's weiter gehen?«

Unbekannter als Tove Janssons neun Muminbücher sind ihre vier Mumin-Bilderbücher. Das erste davon, das 1952 erschienene »Hur gick det sen?« ist gar noch nie auf Deutsch erschienen. Dies holt nun endlich der »leiv Leipziger Kinderbuchverlag« nach. Die Ankündigung fand sich schon monatelang auf den Bücherlisten (unter dem leicht abweichenden Titel »Mumin, wie geht's weiter?«), so dass man sich schon fragen musste, ob lizenzrechtliche oder ähnliche Probleme die Erscheinung verhinderten. Nun aber ist »Mumin, wie wird's weiter gehen?« (WG) erhältlich.

Es handelt sich nicht nur um ein Bilder-, sondern um ein Löcher-Bilderbuch. Auf jeder Seite befindet sich eine anders geformte Aussparung, so dass der Blick auf Ausschnitte der vorangegangenen und nachfolgenden Geschehnisse möglich ist. Dieses Mittel hat Tove Jansson mit großem Einfallsreichtum eingesetzt. Die Geschichte ist in einfachen handgeschriebenen Versen an wechselnde Positionen innerhalb der Bilder geschrieben, wobei viel mit der graphischen Gestalt des Textes gespielt wird.

Was unsere Mitmuministin Anke-Lu und mich in besonderer Weise mit diesem Werk verbindet, ist, dass wir es vor einigen Jahren gemeinsam übersetzten und vielen Verlagen zur Veröffentlichung anboten, ohne indes eine Zusage zu erhalten.

Die Übertragung eines gereimten Textes bereitet spezifische Schwierigkeiten, da Inhalt und Form gleichsam »legiert« sind. Besonders scheint dies für kindgerechte Reime zu gelten, da die Sprache des Originals sehr einfach ist, während sich das dichterische Element in der Übersetzung leicht in zu hohe sprachliche Ebenen verirrt. Die Gefahr des zu sehr Gesuchten lauert an jeder Ecke. Beispiele für vergebliche und letztlich zum Misslingen verurteilter Versuche gibt es sicherlich zahlreich, mir fallen spontan die beiden Kinderversbücher von »Pu der Bär«-Schöpfer A. A. Milne ein, die im Deutschen unter dem Titel »Ich und Du, der Bär heißt Pu« nur bedingt erfreuen – eigentlich ist die Vorlage unübersetzbar und kann nur im Original genossen werden.

Bei den anderen beiden gereimten Mumin-Bilderbüchern »Vem ska trösta knyttet?« (1972) und »Den farliga resan« (1977), die im österreichischen Verlag St. Gabriel als »Wer soll den Lillan trösten?« (1977) und »Die gefährliche Reise« (1981) erschienen, hatten die damaligen Übersetzerinnen von vornherein auf die Gedichtform verzichtet und freie Nacherzählungen in Prosa angefertigt – eine Maßnahme, die den Werken meines Erachtens gar nicht gut tat.

Mit diesem Problembewusstsein im Hinterkopf entschieden wir im vorliegenden Falle, dass eine befriedigende Übertragung in Form einer Nachdichtung trotzdem möglich sein müsste. Wir stellten uns folgende Vorbedingungen:

Wer interessiert ist, kann sich unsere Übersetzungsversion gerne ansehen und mit uns darüber diskutieren.

Die Übertragung für die leiv-Ausgabe besorgten Samar Lennart, Michael Strehle und Claire Singer. Wir finden hier einen völlig anderen Ansatz: im Gegensatz zur genannten, philologisch orientierten Arbeitsweise dichtete man hier eher munter und spaßorientiert drauflos. Dies schlägt sich in allen oben genannten Aspekten nieder: sowohl Versmaß als auch Erzähltempus wechseln, an der Textmenge wird eingespart, und wirklich viel Textinhalt fällt unter den Tisch – während anderes dazuphantasiert wird. Aber im großen und ganzen wird die Handlung natürlich nachvollzogen.

Die immer wiederkehrende Kehrverszeile »Vad tror du att det hände sen?« (»Was glaubst du, was dann geschah?«) bekommt die Form »ACH Mumin, wie wird's weiter geh'n?« Das »ACH« ist für meinen Geschmack zu dick aufgetragen, diesen besorgten Unterton hat das Original nicht (das im übrigen mit dieser Zeile den Leser anspricht, nicht die Titelfigur). Den BearbeiterInnen ist offenbar auch nicht geläufig, dass bei Buchstabenauslassungen in dichterischer Sprache üblicherweise auf Apostrophen verzichtet wird, um das Schriftbild nicht zu überladen.

Leider muss man den ÜbersetzerInnen auch mangelnde Kenntnis des Mumin- Kosmos zur Last legen. Als Beispiel diene die Szene, wo Mumin und Mymla der Gafsa begegnen. Der übersetzte Text nennt sie »Gafsan«. Im Schwedischen kommt aber ein angehängtes »n« einem bestimmten Artikel im Deutschen gleich: »en Gafsa« = »eine Gafsa«, »Gafsan« = »die Gafsa«. In der Muminwelt herrscht bekanntlich eine reizvolle Unschärfe zwischen Artbezeichnungen und Individualnamen, ähnlich wie in Fabel und Mythologie, wo auch »der Fuchs« und »die Schlange« auftreten. Die Gafsa jedenfalls kommt z. B. in den »Geschichten aus dem Mumintal« ([GM]) vor, und es sollte von einem Übersetzungsteam eigentlich vorausgesetzt werden können, dass es die Welt, in die ein Buch eingebettet ist, hinreichend kennt.

Hin und wieder schließlich versteigt sich die Übersetzung auch zu völligem Unsinn, wie in der Szene, in der die Protagonisten aus dem Fenster des Hemuls springen und auf einer Filifjonka landen, die darunter geschlafen hatte. Im vorliegenden deutschen Text »fall'n sie auf Filifjonkas Haus« – weder Bild noch Sinnzusammenhang rechtfertigen diese Erfindung.

Auch offensichtliche Fehler sind zu finden:

Und als sie um die Ecke biegen,
da werden sie schon eingesogen

Das sollte dann doch ziemlich eindeutig »bogen« heißen...

Die äußere Erscheinung des Buches ist sehr gut. Es wurde in China gedruckt, und zwar nicht wie von der Autorin vorgesehen sechsfarbig, sondern vierfarbig reproduziert, was sicherlich preiswerter und in diesem Falle dank feinster Rasterung auch nicht auffällig ist. Wie das Original ist das Buch gebunden, alle Löcher sauber und präzise gestanzt. Die Letterung geschah manuell und ist akzeptabel, wenn auch nicht überragend zu nennen; sie ist von einer durchgängigen Flüchtigkeit, angesichts derer die im Impressum verwendete Bezeichnung »Kalligraphie« dann doch zu hoch gegriffen ist. Die Schriftqualität von Tove Janssons schwedischer Version wird bei weitem nicht erreicht – die englische Ausgabe ist da wesentlich vorbildlicher.

Fazit: Es war eine sehr wichtige Tat, dieses Buch endlich herauszubringen. Das Ergebnis ist im allgemeinen schön gelungen und wird der Zielgruppe Spaß machen, hätte aber von der Textübertragung her (zumal nicht weniger als drei Menschen zusammenarbeiteten) um wahrlich einiges sorgfältiger ausfallen können.

ISBN: 3-89603-156-2
Preis: 12,90 €

Holländische Muminbücher

Drei Muminbücher auf Holländisch tauchten im antiquarischen Onlinebuchhandel auf:

Een komeet boven moemvallei = Komet im Mumintal [KM]
De hoed van de tovenaar = Eine drollige Gesellschaft [DG]
Moem's toverwinter = Winter im Mumintal [WM]

Gelandet sind sie beim britischen Muministen Ben Elliss, auf dessen formidabler Website sie nun zun sehen sind:

http://www.moomintrove.com/country-netherlands.htm

Go Spread The Word

Damit endet ein für die Muministik (oder heißt es Muminologie) sehr spannendes Jahr. Schenkt allen Euren Bekannten Muminbücher (es sind viele auf dem Markt), lest einander die Mumin-Weihnachtsgeschichte vor (sie steht als letztes Kapitel in den »Geschichten aus dem Mumintal« [GM]), und träumt ab und zu davon, wie es wäre, wenn die im Janssonschen Werk beschriebene Utopie des Zusammenlebens wenigstens ab und zu mal greifbar würde... Ich persönlich träume von einer deutschen Comic-Gesamtausgabe, aber das sagte ich schon.

Damit God Jul und bis zum nächsten Jahr,
Euer

Zépé

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