Wed, 3 Jul 2024 14:15:22 +0100
Liebe Runde, in die meine Briefe gehen,
endlich gibt es dank der hier bei mir schon eingetretenen Sommerferien wieder Zeit und Ruhe für die selbstbestimmten Dinge. Da will ich doch gleich mal so einiges mitteilen, was sich im Land der rundlichen Trolle seit dem letzten Rundbrief zugetragen hat.
Als erstes möchte ich ein Buch vorstellen, das mir unglaubliches Lesevergnügen und viel Erkenntnisgewinn bereitet hat. Erschienen ist es schon letztes Jahr, aber es dauert ja immer etwas, bis die Sachen zu einem finden. Der Psychologe Ingo Engelmann stellt unter dem Titel »Pu, Mumin und die Kunst des Lebens« das Konzept der Mentalisierung vor. Dieser Fachbegriff bezeichnet die Fähigkeit, seelische Zustände bei sich selbst und anderen wahrzunehmen, zu interpretieren und zu reflektieren; sie entwickelt sich ab der frühesten Kindheit durch mehrere Stadien immer weiter bis zum Erwachsensein und ist eine Grundlage für unser Klarkommen mit uns selbst, mit anderen und mit der Welt im allgemeinen.
An den Figuren aus den (von mir ebenfalls heißgeliebten) Pu- sowie den Mumin-Büchern werden zahlreiche Konzepte und Stadien in diesem Prozess lebendig beschrieben – vor allem, was für Probleme dabei auftreten können und was für Folgen das haben kann. Seien wir mal ehrlich: Wir lieben diese Literatur doch auch deswegen, weil die Figuren allesamt ihren eigenen (meist sympathischen) »Hau« haben und wir uns und andere überwiegend vergnüglich und literarisch gemildert darin wiederfinden. In diesem Buch gibt es hierzu fachkompetente, schlüssige Erläuterungen, die uns einladen, über uns selbst und andere mehr und besser nachzudenken. Wertvoll.
Ingo Engelmann schreibt witzig, intelligent und verständlich und gibt sein großes Wissen wohlportioniert und pointiert weiter. In einem Punkt verrennt er sich, was aber nicht sein Fachgebiet, sondern das Auseinanderhalten der drei Mymlas (Mutter-Mymla, Tochter-Mymla und Klein My) betrifft, wodurch einige Sachverhalte manchmal auf die falsche Figur bezogen werden. Sicher, bereits zu Lebzeiten musste Tove Jansson selbst Klarstellungen zum von ihr angerichteten Figurennamen-Chaos bei den Mymlas schreiben; doch muss man auch beklagen, dass die derzeit erhältliche deutsche Übersetzung der Mumin-Geschichten die Chance ungenutzt lässt, hier behutsam zu klären.
Das Buch erscheint bei einem Self-Publishing-Verlag, und bei solchen bleiben üblicherweise auch Layout und Lektorat bei den Autoren hängen, die darin keine Profis sind; als Konsequenz muss man hier als Leser doch so manchen Tipp- und Satzfehler akzeptieren. Aber der riesige Lese- und Lernspaß wiegt das allemal und vielfach auf – ein Glück, dass dieses Buch nun den immer noch viel zu schmalen Markt der deutschsprachigen Mumin-Sekundärliteratur bereichert!
Ingo Engelmann
Pu, Mumin und die Kunst des Lebens
ISBN 9783758321252
10 €
Wie ich es denn überhaupt im Prinzip begrüße, dass die modernen technischen Gegebenheiten auch Normalmenschen die Möglichkeit geben, mit Sachen an die Öffentlichkeit zu gehen, die klassisch sonst in der Schublade hätten bleiben müssen. Ich weiß, dass es auch eine beschwerliche Seite hat, wenn jede/r hemmungslos im Internet herum-meinen darf, fremdschämen kann man sich ja leider nahezu täglich; aber Freiheit ist nun mal beschwerlich. Ein schönes Beispiel ist auf jeden Fall die Kieler Buchhandlung Almut Schmidt, die sehr aktiv einen eigenen Youtube-Kanal mit dem Titel »Leseschatz-TV« betreibt. In diesem Rahmen wurde im April Tove Janssons Buch »Fair Play« vorgestellt:
https://www.youtube.com/watch?v=9GZ8ycBbTkY
Da gebe ich doch einen Daumen hoch und wünsche diesen Menschen, die ihren Beruf nicht nur absitzen, sondern sichtlich leben, allzeit den gebührenden Lohn für ihr erfreuliches Engagement!
Bei der Gelegenheit merke ich, dass die Seite des Virtuellen Muminforschungszentrums über das Buch »Fair Play« immer noch unvollendet ist, da hab ich ja direkt einen Ferienjob:
https://www.zepe.de/mumin/e89.php
Nun aber zu wahrhaft Gewichtigem: 1½ Kilo, 512 Seiten, über 1200 Bilder! Der schwedische Journalist Anders Landén hat mit langwierigem Fleiß erforscht und in Wort und Bild zusammengetragen, was von Anbeginn an in Mumintrolls Namen auf den Markt gebracht wurde, und man muss sagen: Das Ergebnis beeindruckt ungemein und ist soeben in Schweden erschienen. Der Titel würde, wenn es ihn auf Deutsch gäbe, »Schätze aus dem Mumintal« lauten.
Das erste und umfangreichste Kapitel des Kompendiums betrifft die Muminbücher und -bilderbücher, die allesamt in ihrer Entstehungsgeschichte beschrieben werden; dazu sind aus sämtlichen Sprachen die Erstausgaben abgebildet – allein das ist eine Fülle von Bildmaterial, und man kann gut die Herausgabephilosophien in verschiedenen Kulturkreisen erahnen. Es folgen Kapitel über die Mumin-Comics, Bühnenwerke, frühes (1950er-Jahre) und daher von Tove Jansson selbst gestaltetes Merchandising, Mumin-Figuren, Produkte rund um Fernsehserien und am Ende eins über den ganzen Rest. Dazu gibt es reichlich Fotos aus den jeweiligen Zeiten und Beschreibungen der Produktion.
Da gehen einem Sammler wie mir schier die Augen über, Schnappatmung setzt ein, kaum traut man sich ein weiteres Mal umzublättern. Trotz meiner jahrzehntelangen Befassung mit dem Mumin-Stoff (nun gut, ohne Zugang zu den Archiven in Helsinki) ist hier jede Menge zu sehen, von dem ich keine Ahnung hatte, dass es existierte: Poster, Broschen, Dekore, und ein entzückender Drehbleistift von 1956 mit Sichtfenster, in dem Mumin mit einem Boot hin und herfährt!!! (Von letzterem scheint kein einziges Exemplar die Zeiten überdauert zu haben.) Und immer noch mehr.
Nur in ganz geringen Einzelfällen kann ich den Spieß umdrehen und sagen, dass ich ein paar wenige »Mumin-Nebenwerke« kenne und teils sogar selbst besitze, die nun wiederum im Buch fehlen. Das mag ebenso zur Beruhigung des Blutdrucks dienen wie das im Buch enthaltene Zitat von Tove Jansson, dass sie diese Verwertungen, wiewohl selbst gestaltet, alle »gleich idiotisch« fand. Aber man muss ja nicht immer ihrer Meinung sein.
Zuletzt möchte ich noch erwähnen, dass hier auch zwei kurze Mumin-Geschichten, die vor langer Zeit in Zeitungen erschienen, erstmals seit 1949 (»Mumins Weihnachtsabend«) bzw. 1950 (»Mumin und die Rolltreppe«) wieder im Druck zu sehen sind, wenn auch verkleinert und im zweiten Fall nicht ganz vollständig. Spätetens dieses hebt das Buch vom Sammlerkatalog zur editorischen Großtat.
Anders Landén
Skatter från Mumindalen
ISBN 9789152795255
auf Englisch: Treasures from Moominvalley
ISBN 9789152795262
jeweils ca. 60 €
Im vorigen Rundbrief, also Anfang März, vermeldete ich, dass das Mumin-Computerspiel »Snufkin: Melody of Moominvalley« kurz vor der Veröffentlichung stünde. Tatsächlich war es 5 Tage später so weit; durch meine Neigung zu freien Betriebssystemen war ich mir nicht so ganz sicher, ob ich es würde spielen können und dann bin ich drüber weg gekommen und habe es bis heute nicht gespielt, aber das wollte ich gar nicht erzählen, sondern: eine knappe Woche später wurde es als »Videospiel der Woche« (wieso eigentlich »Video«? Gibt's das noch?) beim Radiosender »radio eins« rezensiert:
Nun wünsche ich uns allen aber eine schöne Sommerpause!
Euer
Zépé
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