Date: Mon, 12 Jun 2014 16:52:22 +0100
Liebe Menschen auf dem Rundbrief-Verteiler,
heute gibt es nur ein Thema, welches aber mehrere Abteilungen in sich birgt.
Über das soeben gewesene verlängerte Pfingstwochenende machte ich eine Reise nach Finnland, um dem 100. Geburtsjahr Tove Janssons die Ehre zu geben. Dabei beschränkte ich mich auf die Städte Helsinki und Tampere, wohlwissend, dass auch mehr möglich gewesen wäre. Doch schon so waren die mir zur Verfügung stehenden fünf Tage bestens gefüllt.
Beginnen möchte ich mit einem Street-Art-Wandbild, an dem schon mehrere Hände mitgewirkt hatten.
Es ist derzeit wahrlich nicht schwer, in Helsinki auf Mumintrolle zu teffen; meistens dominieren aber die von offizieller Stelle lizensierten Produkte. Noch der kleinste Schrabbelkiosk führt irgendwelche Artikel (meistens Schokolade und Postkarten), die trollig verziert sind. Es geht in den gepflegteren Geschäften mit überteuerten Lampen und allerlei Kinderkram weiter.
Dass dabei nicht immer auf Bezug und Qualität geachtet wird, muss der Hardcore-Muminist (also ich) natürlich beklagen; wem nützt eine Kinderschere oder gar eine Plastik-»Gitarre« mit Muminbild darauf? Dabei wäre im Jubiläumsjahr so viel möglich. Doch die schönen alten Papier-, Tapeten- und Stoffmuster, die Tove Jansson einst selbst gestaltete, kommen, wenn überhaupt, auf preislich happigen Birkenholz-Tabletts, recht überflüssigen Gläseruntersetzern und Metall-Ostereiern wieder.
Was spezifisch geblieben ist, sind die speziellen »Moomin Shops«, wo es zahlreiche Bücher und Comics, aber auch sehr kommerzielles Zeug gibt. Hin und wieder ist die Umsetzung auch sehr cool – wann wird man schon von einer Hatifnatten-Gäng angerempelt?
Der größte Shop ist am Flughafen Helsinki-Vantaa, der innerstädtische befindet sich nicht mehr wie früher in der Kämp-Galerie, sondern im Einkaufszentrum FORUM nahe dem Bahnhof.
Nun aber zum Herzstück meiner kleinen Reise, der Tove-Jansson-Retrospektive im Ateneum, der früheren (auch von Tove Jansson besuchten) Kunstschule, dem heute schwer bedeutenden Museum. Was soll ich sagen: allein das hier hat die ganze Reise dicke gelohnt. Ich habe nicht getrödelt und war trotzdem zweieinhalb Stunden intensiv beschäftigt. Das Ausmaß des Zusammengetragenen ist riesig.
Als Hauptaspekt werden Tove Janssons Gemälde gezeigt; in mehreren dicht behängten Sälen, die ungefähr nach Jahrzehnten geordnet sind, wird Toves Entwicklung von intensiven Porträts über impressionistisch beseelte Stilleben, Interieurs und Fensterblicke bis hin zu abstrahierten Sujets aus der (oft marinen) Realität dokumentiert.
Dazu gesellt sich ein großer Apparat von privaten Zeichnungen, Illustrationen für das Satire-Magazin »Garm«, Frühwerken/Kinderzeichnungen und Briefen. Natürlich darf ein ausführlicher muministischer Anhang mit Leihgaben (Zeichnungen und Dioramen) aus Tampere nicht fehlen. Außerdem sind persönliche Gegenstände zu sehen, die teils beziehungsreich (Muschelkästchen u. ä.), teils auch überraschend sind.
Und das zentrale Stück der Ausstellung, der Doppelfries »Fest auf dem Lande« / »Fest in der Stadt« haut einen schon von den Ausmaßen her um.
Bis 7. 9. ist Zeit, diese fantastische Ausstellung zu sehen, und ich kann es allgemein nur empfehlen!
Wermutstropfen: Es gibt keinen Katalog. Stattdessen muss das Buch von Tuula Karjalainen als derzeit aktuelles Tove-Jansson-Konzept-Papier herhalten. Ich habe das Buch im Rundbrief vom November 2013 kurz erwähnt, aber noch nicht näher vorgestellt; es ist recht materialreich, aber eben nicht im eigentlichen Sinne ein Ausstellungskatalog.
Bei meiner ersten Reise 2008 (vgl. Rundbrief vom Juli 2008) hatte ich auf das verzichtet, was ich »Post-mortem-Stalking« nannte, doch nun habe ich es nachgeholt und einige Orte aufgesucht, die im Zusammenhang mit Tove Jansson in Helsinki bedeutend sind.
Da wäre erst einmal das Kindheitshaus in der Lotsenstraße 4 im Stadtteil Skatudden (finnisch Katajanokka). Zahlreiche Kunstschaffende haben hier gelebt.
Direkt gegenüber fand ich genau die Szenerie vor, die auf einer frühen Zeichnung zu sehen ist.
Der kleine Park in Richtung Innenstadt direkt unter der Uspenski-Kathedrale soll bald nach Tove Jansson benannt werden. Die Diskussion einer Straßenbenennung hatte, wie man hört, lange gedauert und sollte hiermit dann einen Abschluss finden.
Ein weiterer bedeutender Ort ist das Turmatelier in der Ulrikasborggatan südlich der Esplanade, wo Tove seit ihrem 30. Lebensjahr lebte, wie auch eine Plakette am Eingang bezeugt.
Es wird nur ausgewählten Forschenden unter strengen Auflagen gestattet, hier ihren Fragestellungen nachzugehen. Neuerdings haben aber auch Normalsterbliche immerhin eine kleine Chance, denn eine Bierfirma verlost Zutritte, die Zettel zum Preisausschreiben liegen im Ateneum aus. Ausrufezeichen. So viel zur Macht des Kommerzes.
Im Sommer lebte Tove Jansson natürlich auf der kleinen Insel Klovharu, nur die Winter gehörten dem Stadtleben. Aber auf der Insel war ich nicht.
Zuletzt war die Grabstelle auf dem Hietaniemi-Friedhof zu besichtigen, wo auch Mutter Ham, Vater Faffan, Bruder Lars und weitere Familienmitglieder bestattet sind, wie die Inschriften auf den verschiedenen Seiten der Stele verraten.
Am Pfingstsonntag stand ein eintägiger Abstecher nach Tampere auf dem Programm, wo das »Mumintal-Museum« seit etwa zwei Jahren eine neue Bleibe gefunden hat. Es zog aus dem Kellergeschoss der Bibliothek in das Kellergeschoss des Kunstmuseums. Tja, was soll ich sagen: es ist dort nicht ganz angekommen. Erst einmal sind die Räume viel zu klein. Zweitens sind sie aber trotzdem fast leer – das Museum besitzt über 2500 Werke (meistens Zeichnungen) von Tove Jansson sowie sämtliche muministischen Dioramen von Tuulikki Pietilä – warum stellt man nur so einen winzigen Bruchteil aus? Die aktuellen Leihgaben zur Ateneums-Ausstellung können diese Entscheidung nicht ansatzweise erklären.
Trotzdem ist das dort zu Sehende natürlich bewundernswert. Wer noch nie gesehen hat, wie fein und gewissenhaft Tove Jansson skizziert, gezeichnet, revidiert und korrigiert hat, wird hier aus dem Staunen nicht heraus kommen. Nach dem Ende der Ausstellung in Helsinki wird das auch nur noch hier gehen. Bis dahin aber kann man sich diese Ausstellung zur Not auch sparen.
Das seltsame Understatement-Gehabe setzt sich fort mit dem Museums-Shop, der (abgesehen vom kleinen Büchertisch im Museum selbst) noch an der alten Stelle im Bibliothekskeller ist: er bleibt total versteckt, von der Straße her ahnt man nicht, dass dahinter reiches Material käuflich zu erwerben ist.
Richtig erfreulich ist immerhin die von Tulikki Pietilä geschaffene Mumin-Bronzeskulptur direkt vorm Shop, die vorher unauffindbar woanders stand:
Ansonsten muss man aber zusammenfassen: Die Stadt Tampere hat aus dem ihr zuteil gewordenen Erbe bislang nichts Adäquates gemacht. Sind Rechteprobleme die Ursache? Will die von Toves Nichte Sophia gesteuerte Verwertungsgesellschaft »Moomin Characters« andere Aktivitäten unterbinden?
Finnlands Hauptstadt hat sich in den letzten Jahrzehnten überdurchschnittlich stark verändert und ist immer noch in hohem Tempo dabei, aber sie ist gleichzeitig gemütlich, cool, ruppig und schick und hat ihren eigenen Geist. Immer wieder gibt es überraschende Details, und sei es nur, dass jemand sein Boot nach dem »Seeorchester« aus Muminvaters wildbewegter Jugend benannt hat:
Die schwedischsprachige Bevölkerung ist inzwischen weit unter 10%, in Toves Jugend war das noch ganz anders; daher werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass Sekundärliteratur künftig nicht mehr unbedingt auch auf Schwedisch erscheinen wird, wie die jüngsten Neuerscheinungen zum Teil auch schon zeigen.
In den alten Jugendstilstraßenzügen ahnt man (meine ich jedenfalls) trotz aller modernen Urbanität immer noch etwas von der Charaktermischung aus Bohème und Bourgeoisie, die Tove in ihrer Kindheit und Familie atmete und in der Folge ihrem Muminkosmos als Grundierung gab.
Insgesamt habe ich die Reise überaus genossen! Die kleinen runden Pfannkuchen (Plättar) mit Erdbeerkonfitüre (Jordgubbssylt) zum Frühstück, da habe ich mich wie ein kleiner Mumin gefühlt, der gleich einen neuen entdeckungsreichen Tag erleben wird.
Toves Vater ist in Helsinki mit einigen Standbildern vertreten. In Tampere ist ihm zu Ehren kurz nach meiner Abfahrt eine Ausstellung eröffnet worden, deswegen lohnt sich zur Zeit das Hinfahren wahrscheinlich doch. Meine Spurensuche ergab ein Kind auf einem Fisch im Esplanadenpark, eine Meerjungfrau im Bensow-Haus nebst evtl. nicht von »Faffan« gestalteten Pendant-Fischen. Sicher ist aber die Statue »Convolvulus« im Kaisaniemi-Park, zu der Tove Modell stand, eine weitere Brunnennymphe an der Esplanade und eine hohe Freiheitsstatue in Tampere.
Reich bepackt bin ich heimgefahren, und an dieser Stelle will ich einfach mal die Gelegenheit zu ungenierter Angeberei ergreifen. Ich erwarb:
Wenn ich mich eingelesen habe, dürfte reichlich Stoff für weitere Rundbriefe vorhanden sein...
Damit grüßt bis recht bald
Zépé
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