Date: Fri, 18 Jul 2008 19:04:05 +0200
Bericht von einer Mumin-Reise, Sommer 2008 → Bildergalerie hierzu
Der Aufenthalt in Schwedens Hauptstadt war eigentlich als eine Art Präludium gedacht, aber die Muministik kam schneller über mich als erwartet: das Hotelzimmer hatte Blick auf eine Mumin-Statuengruppe, die ein Bewohner des Hauses gegenüber auf seinem Fensterbrett aufgestellt hatte. Beim abendlichen Bummel fanden sich Tove Janssons Wesen auch in so manchem Schaufenster – mal als Figuren, mal auf Handtüchern oder Porzellan...
Wenig muministisch Interessantes prägte diesen Tag, außer dass ich etliche Buchantiquariate abklapperte – ohne indes ein von mir gesuchtes Erwachsenenbuch von Tove Jansson (»Brev från Klara«, das letzte mir fehlende!) zu finden.
Am Nachmittag gelang es mir im Stadtteil Södermalm, ein Exemplar des letzten mir noch fehlenden Comic-Bandes bei Alvglans aufzutreiben; Alvglans ist ein offenbar recht legendärer Comic-Laden, der auch einen Verlag betreibt. Anfang der 1980er-Jahre steuerten sie die zweite Hälfte zur insgesamt 10-bändigen Mumincomic-Gesamtausgabe bei, mit der ein anderer Verlag angefangen hatte.
Abends war dann die große Fähre nach Finnland zu besteigen. Schon im Einschiffungsgebäude stand eine riesige Mumin-Figur und begrüßte einen in quasi-schon-Finnland. An Bord dann drei Schauspieler/innen in den Kostümen der kleinen My und zwei Mitgliedern der Muminfamilie. Diese Truppe spielte später im Kinderbelustigungs-Saal eine Szene aus dem Mumintal. Anstelle zollfreien Schnapses kaufte ich in den Bordläden einen kleinen Hatifnatten-Schlüsselanhänger aus emailliertem Metall, einen der kleinsten der vielen Muminartikel. Ansonsten genoss ich die fantastische Schärenwelt: hunderte und tausende von Inselchen in der hellen nordischen Nacht, wie man sie auch in Tove Janssons Werk beschrieben und gezeichnet findet.
Das Schiff legte morgens in Turku an und es ging mit einem speziellen Bus bald weiter ins nicht allzu weit entfernte Naantali, wo auf einer kleinen Insel 1992 eine »Muminwelt« eingerichtet wurde. Dies ist ein geradezu rührend technikfreier Vergnügungspark, der darauf baut, dass Eltern ihren Kindern erklären, was die zahlreichen aufgebauten Schaustücke besagen, also die Mumin-Geschichten aus eigenem Wissen nacherzählen. Ansonsten laufen als Figuren aus dem Mumin-Kosmos kostümierte Schauspieler umher, singen, tanzen und spielen mit den Kindern, an die sich dieser Park primär richtet.
Die Mitte der Muminwelt ist das Muminhaus, ein blauer, runder Wohnturm mit drei Stockwerken unter kegelförmigem roten Dach und der obligatorischen Veranda. Darum herum befinden sich thematische Pfade, z. B. eine Wanderung entlang von Muminpapas Memoiren, und weitere den Büchern entlehnte Attraktionen wie das Badehäuschen am Ende eines Steges im Wasser, die Höhle der Hatifnatten, eine weitere, der Morra gewidmete Höhle mit Eiswänden, das Schiff »Seeohrkester« (oder »Mermussick«, wie es in der neuen Übersetzung heißt) und manches mehr. Im Emma-Theater, benannt nach der resoluten Filifjonka aus »Sturm im Mumintal« (SM), spielen die schon besagten Schauspieler wechselnde kurze Stücke und Shows in finnischer und schwedischer Sprache.
Der ganze Park verbindet sich glücklich mit der Natur in Form der kleinen, teils felsigen, teils bewaldeten Insel, auf der er steht. Ein Shop mit riesigem Angebot an Muminartikeln fehlt natürlich ebenso wenig wie allerlei Gastronomie (ich aß in Muminmutters Küche). Ein besonders nettes Etablissement ist die Mumin-Post, von wo aus man Karten und Briefe absenden kann, die einen Mumin-Sonderstempel erhalten; natürlich gibt es hier auch Briefmarken, die den kleinen Troll abbilden.
Die finnische Hauptstadt, am Mittag mit der (sehr empfehlenswerten) finnischen Eisenbahn erreicht, war nun wirklich Mumin-Gelände. Hier hatte Tove Jansson Zeit ihres Lebens gewohnt, wenn sie nicht gerade im Sommer auf ihrer kleinen Insel war. Da sie aber jedweden Kult um ihre Person stets ablehnte, verzichtete ich darauf, ihr Wohnhaus oder andere Stätten aufzusuchen. Sinngemäß schrieb sie einmal in einer Kurzgeschichte: »Einen Autor trifft man in seinen Werken«.
Helsinki war aber auch ohne Post-mortem-Stalking der muministische Höhepunkt meiner Reise. Ausgerüstet mit einem professoralen Empfehlungsschreiben enterte ich die Nationalbibliothek und bat um Vorlage von vier sehr seltenen Illustrationswerken Tove Janssons, was mir zum Glück auch für den nächsten Tag zugesagt wurde.
Ein weiterer Pflichtpunkt war die Akademische Buchhandlung, ein wahrer Tempel für den Buchkaufwilligen! Zu allem Überfluss kam abends im Hotelfernseher auch noch ein Zusammenschnitt von Schmalfilmen, die Tove Jansson und Tuuliki Pietilä auf ihrer kleinen Sommerinsel immer mal wieder gedreht hatten. Zu sehen waren oft nur Muster von Wolken, Wind, Wasser, Vögeln und anderer Natur, dann wieder die beiden Frauen bei alltäglichen Beschäftigungen wie Angeln, Bootfahren usw. Aber es trug zum Verständnis bei.
Auch die Antiquariate hier hatten das von mir gesuchte Buch nicht (die Hälfte war in Sommerferien, es ist also noch Hoffnung), aber in einem fand ich immerhin vier Postkarten, die Tove Jansson in den 1940ern gemalt hatte.
Sehr viel Pech hatte ich gleich morgens: auf einem Flohmarkt verschwand vor meinen Augen ein Mumin-Brettspiel mit von Tove und Lars Jansson gestaltetem Spielbrett in der Tasche einer anderen Marktbesucherin. Ich hatte viel Gerenne, bis es mir abends endlich gelang, ein solches Spiel aufzutreiben – allerdings in einer Neuauflage, in der man unnötigerweise das Spielbrett grafisch erneuert hatte. Aber die einleitende Geschichte sowie die Zeichnungen auf den Ereigniskarten sind noch original – es handelt sich also tatsächlich um ein mir bis dato unbekanntes, authentisches »Mumin-Nebenwerk«.
Auf dem neuerlichen Weg in die Nationalbibliothek erfuhr ich, dass das Schwedische Theater der Stadt ab August 2008 das Stück »Der König im Mumintal« aufführen wird, nach dem 1960er-Jahre-Fernsehspiel, von dem ich im letzten Rundbrief erzählte.
In der Bibliothek wurden mir die bestellten Kostbarkeiten ausgehändigt. Es war ein erhebendes Gefühl, einige der seltensten Bücher, die Tove Jansson illustriert hat, in der Hand zu halten. Es handelt sich um
Die Kopien konnten abgeholt werden, dieser Teil der Arbeit war erfolgreich abgeschlossen. Tove Janssons Hausverlag Schildts hatte entgegen der Angaben im Internet seine Verlagsbuchhandlung nicht geöffnet, was schade war – für sie, denn ich hatte etliche ihrer Bücher auf meiner Wunschliste und ein gut gefülltes Portemonnaie dabei! Aber es sollte nicht sein. Gegen Abend verlegte ich meinen Standort wiederum per Eisenbahn nach Tampere.
Im Keller einer architektonisch wegweisenden Bibliothek besteht seit nunmehr 21 Jahren das »Mumintalmuseum«. Ich weiß nicht genau, wie es dazu kam, aber Tove Jansson und Tuulikki Pietilä stifteten ihren Mumin-Nachlass 1987 hierher, so dass an diesem Orte nun 2000 Originalzeichnungen sowie jede Menge anderen Materials lagern. Die Ausstellung hat zwei Schwerpunkte: in der Fläche der Räume stehen die Dioramen von Tuulikki Pietilä, die sie (z. T. unter Mithilfe weiterer Leute) in großer Zahl nach Motiven aus den Mumin-Büchern fertigte: meist aquariumgroße Schaukästen mit sehr detailfreudig-ausdrucksstarken Figuren und Ausstattungen. In ihrer Farbig- und Stofflichkeit gehen sie aber doch über die zugrunde liegenden Schwarzweiß-Zeichnungen sehr hinaus, sind ganz eindeutig sekundäre Interpretation statt eigenständiges Werk. Das Hauptschaustück ist das über 2 Meter hohe Muminhaus, an dem Tove Jansson immerhin mitgewirkt hat, und das, von Bruder Per Olov Jansson fotografiert, als Kulisse für das Fotobilderbuch »Der Schurke im Muminhaus« (1980 / ÜM) gedient hat.
Für mich wesentlich interessanter waren die ausgestellten Originalzeichnungen von Tove selbst. Es ist frappierend, sich klarzumachen, dass sie tatsächlich im Maßstab 1:1 gearbeitet hat. Das heißt: die Feinheit der Strichelungen und Schraffierungen, wie man sie in den Büchern sieht, ist tatsächlich so erreicht worden und nicht etwa Resultat einer reprografischen Verkleinerung! Hier geht es für die Erlangung des gewünschten Ausdrucks um Zehntelmillimeter; dies versteht man gut, wenn man die (in den Büchern nicht mehr sichtbaren) Deckweiß-Korrekturen und Überklebungen sieht: manchmal wird nur eine zuerst durchgezogene Linie wieder stellenweise geöffnet, ein anderes Mal ist fast das halbe Bild überklebt und neu gezeichnet, wobei die Konturen des bereits Gültigen genau ausgeschnitten sind, um es zu erhalten.
Von den Publikationen des Museums kaufte ich zwei Bücher, die reiches Material über die Entwicklung des Mumin-Universums bieten.
Heimfahrt mit viel Jagdbeute, genug für etliche weitere Rundbriefe :-)
Damit grüßt mit den besten Wünschen für einen hoffentlich schönstmöglichen Sommer
Zépé
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